iTeam Geschäftsführer-Brief 10/2021: Die Kraft des Münzwurfs: Die Illusion von Messbarkeit und Kontrolle


12. Oktober 2021, von in Neuigkeiten

Zahlen sind gut, Geschichten sind besser

Nicht nur die Wirtschaftswelt ist sich einig: Daten sind das Gold eines jeden Unternehmens. Zahlen und alles, was sich aus ihnen machen lässt, bestimmen zu einem Großteil Geschäftsentscheidungen, Zukunftsstrategien und den Arbeitsalltag. Was aber wäre, wenn die Aussagekraft der Zahlen gar nicht so groß ist wie alle denken? Spoiler vorab: Sie ist es auch nicht. 

Wer heute BWL studiert oder auf anderen Pfaden den Weg in die freie Wirtschaft findet, wird nahezu automatisch dahingehend erzogen, dass es im Unternehmensalltag vor allem auf Zahlen und Fakten ankommt. Mehr oder weniger alles, was die tägliche Arbeit bestimmt, wird auf Biegen und Brechen mathematisiert. Diagramme und zahlenbasierte Analysen sollen dabei helfen, die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft zu stellen, das Team zu Höchstleistungen anzutreiben und den Wettbewerb hinter sich zu lassen.

Was für viele kluge Köpfe in der Wirtschaft das gar nicht mehr erklärbare Einmaleins darstellt, hat dann doch mal einer hart hinterfragt: Tomáš Sedláček, ein tschechischer Ökonom und Hochschullehrer. Sein Werk „Die Ökonomie von Gut und Böse“ bescherte ihm nicht nur einen eigenen Wikipedia-Eintrag, sondern stellte das auf den Kopf, was viele für den Stein der Weisen hielten.

Zugegeben: Das Buch gehört definitiv in die Kategorie „schwere Kost“ und eignet sich daher nur bedingt als Urlaubslektüre für den Playa del Inglés. Aber: Es liefert wertvolle Erkenntnisse, die wir bei der SYNAXON und einsnulleins verinnerlicht haben (und ganz unerfolgreich sind wir schließlich nicht). 

Die Grenze des Messbaren

Natürlich sind und bleiben Zahlen wichtig. Der Online-Marketing-Manager, der sich nicht die Performance und Zahlen seiner Google Ads Kampagne anschaut und daraus die entsprechenden Schlüsse zieht, gehört vor die Tür gesetzt. Der Logistiker, der den Lagerbestand nicht im Blick hat, genauso. Die Kunst einer Führungskraft ist es aber, zu erkennen, wo die Grenzen des Messbaren liegen – und zu verstehen, dass präzise Prognosen, die allein auf Zahlen und Fakten basieren, unmöglich sind. 

Der einfache Grund: Der Faktor Mensch. Das menschliche Handeln, soziale Interaktionen und das berühmte Bauchgefühl lassen sich mit keiner Kraft der Welt mathematisieren oder durch einen pfiffigen Algorithmus auswerten. Bleiben wir beispielhaft bei den Google Ads Anzeigen: Der Online-Marketing-Manager weiß, welche Anzeige überdurchschnittlich oft angeklickt wurde und wie lange die Besucher auf der Webseite blieben. Aber warum hat Person X die Anzeige überhaupt angeklickt? Weil sie so gut formuliert war? Weil er sich vertan hat? Wurde er eigentlich vielleicht über meinen Radio-Spot oder die Empfehlung von Freunden auf das Angebot aufmerksam? Und hat er die Seite dann nach 5 Sekunden verlassen, weil ihn das Angebot doch nicht ansprach oder weil ihm gerade das Essen angebrannte?

Es bleibt immer der Rest, der durch kein mathematisches Konzept erklärbar ist. Und anders: Wer nur Mittelwerte betrachtet, ohne die Streuung zu berücksichtigen, hat ein ultrahohes Risiko für Fehlinterpretationen. 

Was aber bleibt der Führungskraft, wenn das Bewusstsein über die Grenzen der mächtigen Zahlen und Daten erwacht ist? Wovon soll man sich leiten lassen, wenn alle Daten der Welt keine Kausalitätshypothese enthalten? Die Frage aller Fragen wurde zum Glück schon beantwortet – man muss sich nur einmal umsehen. So viel vorab: Das Bild vom CEO am Star-Wars-esken Dashboard, der einige Hebel bewegt und Knöpfe drückt, um das finale Ziel zu erreichen, ist gefährlicher Irrsinn. 

Was wir von Apple und der Kirche lernen können

Bis vor einigen Jahren kürte das „Manager Magazin“ regelmäßig den „CEO of the future“ – ein sagenhafter Titel, um den sich die Nominierten rissen. Um ihn zu erhalten, mussten in einer softwaregestützten Wirtschaftssimulationsspiel beweisen, dass sie wissen, welche Stellschrauben zu drehen und welche Knöpfe zu drücken sind. Rückblickend betrachtet: Eine perverse Übersteigerung der Kontrollillusion. 

Steve Jobs hingegen war so einer, der frühzeitig die Kraft der Narrative erkannte. Statt seinen Mitarbeitern lediglich Verkaufszahlen und Prognosen um die Ohren zu hauen, nahm er sie gedanklich und erzählerisch mit in seine ganz persönliche Vision von Leichtigkeit und Eleganz. Oder John F.  Kennedy, der nach gerade einmal vier Wochen im Amt vom „Mann auf dem Mond“ sprach.

Stark vereinfacht folgt diesem Prinzip auch jede Religion. Obwohl Gott und Allah – um nur zwei Beispiele zu nennen – nicht gesehen oder gehört werden können und sich ihre Existenz auch nicht mathematisch oder physikalisch beweisen lässt, folgen Milliarden von Menschen ihrem Glauben an sie. Der Glaube, ob religiöser oder personengetriebener Natur, hat enorme Auswirkungen für die Menschheit – allein das zeigt, wie stark die Macht des Narrativen ist.

Die Mischung macht es – und manchmal hilft bei wichtigen Entscheidungen, eine Münze zu werfen

Zum Schluss wird der Spieß noch einmal umgedreht, denn natürlich nützt auch die schönste Geschichte der Welt nichts, wenn der Rest nicht passt. Wer nicht mit Karacho in die Pleite steuern möchte, muss seine Zahlen selbstverständlich stets im Blick haben. Der rational-analytische Teil bleibt wichtig, ist aber im Gesamtkontext nur ein Zahnrad von vielen. 

Das bereitet nicht wenigen Menschen, die streng in mathematischen Kontexten denken, durchaus Bauchschmerzen. Mathematische Modelle erzeugen ein wohliges Gefühl von Kontrolle, Beherrschbarkeit und Vorhersehbarkeit. 

Es gibt immer wieder Entscheidungen, bei denen bei rationaler Betrachtung zwei scheinbar gleichwertige Optionen zur Verfügung stehen. Da hilft auch noch so intensives Nachdenken und Analysieren nicht mehr weiter. Was da wirklich helfen kann: Eine Münze werfen. Damit zwingt man meine Intuition zu einer Reaktion. Wenn sich nach dem Wurf sofort ein schlechtes Gefühl einstellt, ist es ziemlich sicher die falsche Option, die gewonnen hat. 

Am Ende des Tages liegt der Erfolg – wie so häufig – darin begründet, auf einen gesunden Mix zu setzen. Erfahrung, Intuition und ständiges Lernen sind nur drei weitere Parameter, die einfließen sollten.

Führungskräfte können es sich dabei aber durchaus leicht machen, indem sie ihre Teams aus so unterschiedlichen Entscheidungsfindungstypen wie möglich zusammensetzen. Es braucht die knallharten Analytiker ebenso wie die emotionalen Bauchgefühl-Typen – und sogar die vermeintlichen Spinner. Wer diesbezüglich Anregungen sucht, wird in dem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahneman fündig.

Folgen all diese Charaktere der gleichen Geschichte, sind die Weichen gestellt. Dazu kommt: Unternehmen, die eine gute Story erzählen können, die im Kern falsifizierbar oder zumindest denkbar ist, haben es sehr viel leichter, gute Mitarbeiter zu finden und diese auch nachhaltig zu motivieren. Wir sind davon überzeugt: Die Kombination aus Top-Mitarbeitern, die wahre Meister ihres Fachs sind, und einer coolen Mission ist erfolgreicher als jede Zahlenmaschinerie. 

Autoren: Frank Roebers, Lena Klaus

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